Quantcast
Channel: SDAJ Solingen - aktiv in der Klingenstadt! » Sozialismus
Viewing all articles
Browse latest Browse all 10

Der 13. August, die Politik und die Moral

$
0
0

Der folgende Kommentar wurde von Robert Steigerwald, einer der führenden Theoretiker der Deutschen Kommunistischen Partei, an die junge Welt geschrieben. Sein “Der 13. August, die Politik und die Moral” betitelter Kommentar ist von ihm als Beitrag zur Diskussion um die jW-Titelseite zum 13. August (“Tag des Mauerbaus”) intendiert.

 

Daß der 13. August als Großereignis begangen werden würde, war allen bereits lange vor diesem klar und das wird »in alle Ewigkeit« so sein. Denn der Grund für die Feier – auch Trauer kann eine Feier, sie kann aber auch ein Mißbrauch sein –, ist nicht die Mauer. Die ist nur der Anlaß. Der Grund, das ist die Defensivmaßnahme der DDR, man kann also diese Feier eine solche über eine Niederlage des Sozialismus verstehen. Und gefeiert wird durch die in ihrer Ablehnung und Bekämpfung des Sozialismus geeinten, ansonsten unterschiedlichen Kräfte.

Der Mauerbau war also insofern ein Erfolg des Imperialismus, daran ist nicht zu rütteln. Ich weiß, dieser Einschätzung werden jene nicht zustimmen, für die die DDR (und nicht nur sie) nicht sozialistisch war. Doch auch jene werden mir nicht zustimmen, die diese nüchterne Bewertung als defensive Maßnahme nicht akzeptieren wollen.

Die Kräfte des Imperialismus haben alles, worüber sie verfügten, ökonomische Resourcen, politische Mittel, Medien eingesetzt, um diese Alternative zum Kapitalismus zu zerstören. Taten sie dies aus Humanismus, der Demokratie wegen?

Der Imperialismus wollte ihm entrissene Gebiete und deren Potentiale wieder zurückgewinnen. Das konnte man etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen. Ziel war die Rekapitalisierung der DDR (nicht nur dieser). Daß das, was zerstört wurde, antikapitalistisch war, wird dort bezeugt. Ich habe es zitiert, und wer das braucht, kann die entsprechenden Analysen von mir bekommen.

Es ging am 13. August 2011 nicht um die »Toten an der Mauer«, denn die etwa zwei Dutzend toten DDR-Grenzer – sie starben nicht an Herzversagen – wurden nicht in das Gedenken eingeschlossen. Es ging nur um bestimmte Tote, und diese »Wahl« der zu betrauernden Toten bedeutet, daß Trauer mißbraucht wurde! Daß dennoch Tote an der Mauer zu beklagen und zu betrauern waren und sind, ist kein Thema der Diskussion, denn jeder Tote dort war einer zuviel.

Es ging und geht manchen auch nicht darum, die Mauern überall einzureißen, wie geschrieben wurde, es geht eben nicht um Mauern etwa in Mexiko oder auf palästinensischem Gebiet, sondern nur um die Mauer zwischen Imperialismus und – sei er noch zu fehlerbehaftet – werdendem Sozialismus.

Die Mauer hat, das weiß jeder, tief eingegriffen in die Lebensbedingungen beinahe jeder deutschen Familie, gleichgültig, auf welcher Seite der Mauer sie lebte, und man darf darüber nicht hinweggehen. Es ist also richtig, daß sich an der Seite der jungen Welt die Debatte entzündete, denn sie blendete aus, was es außer dem auch gab, das auf dieser Seite herausgestellt wurde. Aber diese Seite der jungen Welt war eben auch ein Protest gegen jahrzehntelange Hetze gegen die DDR, gegen den Sozialismus insgesamt.

Ich bezeichnete oben den Mauerbau als eine defensive Maßnahme und muß das begründen.

Ich erinnere mich noch dessen – ich bin wahrscheinlich ein wenig älter als mancher, der heute über die Mauer diskutiert – daß der damalige Bundesinnenminister, der vormalige SA-Mann Gerhard Schröder (CDU), also der Polizei-, nicht der Außenminister, vor dem Forum des Bundestags in einer Rede zwei Dinge sagte:

1. Man müsse die Hochschulkapazitäten nicht erweitern, denn man hole sich das erforderliche Potential aus der Sowjetzone, es seien schon etwa 40000 Lehrer und Ärzte von dort in die Bundesrepublik gekommen. Die »Sowjetzone« war also in den Planungen der Bundesregierung als Ausbildungszentrum für akademische Kader des deutschen Kapitalismus vorgesehen. Nach dem Mauerbau mußte das geändert werden, wurden die universitären Betonbunker gebaut.

2. Die Sowjetzone sei »uns« widerrechtlich vorenthaltenes Gebiet. Diesen Zustand zu beenden sei kein aggressiver Akt, sondern eine durch das Völkerrecht gebotene Polizeiaktion. Ich kann diese Äußerung durch ein gutes Duzend ähnlicher Worte bundesdeutscher Minister ergänzen.

Die Mauer war also keineswegs nur in der Agitation ein »Schutzwall«. Sie war das durchaus, aber sie war auch ein »Schutzwall«, der die Abstimmung mit den Füßen gegen die DDR verhindern sollte. Es ist richtig, die Mauer war damit auch eine freiheitsbegrenzende Maßnahme für die DDR-Bevölkerung. Diese war ohnehin – doch auch da wäre es gut, man würde nicht losgelöst von den konkret-gesellschaftlich-historischen Umständen und Zusammenhängen diskutieren – in ihren Freiheiten begrenzt. Wenn und wo es solche Maßnahmen gab, wo und wie man sie für richtig gehalten haben mag, hätte man das offen und ehrlich begründen, nicht aber sie mit Hilfe agitatorischer Floskeln »unter den Tisch« kehren sollen. Übrigens: Ideen – auch feindliche – besiegt man nicht durch physische Gewalt, sondern – wenn man erfolgreich sein will – mittels der eigenen Ideen. Wer das anders angeht, der vertraut nicht der Überzeugungskraft der eigenen Ideen.




Viewing all articles
Browse latest Browse all 10